Es ist ein großartiger Anblick, wenn der breite Gipfel des Kilimandscharo zum ersten Mal auftaucht. Als der Regenwald sich lichtete, die Landschaft sich zu Moor und Heide wandelte - am Ende des ersten Tages - sahen wir ihn zum ersten Mal. Sven wäre am liebsten sofort weitermarschiert. Der Gipfel ist der höchste von drei Vulkankegeln, die sich in grauer Vorzeit nach oben schraubten. Shira erlosch als erster und erodierte. Wir nächtigten auf dem Shira-Plateau, wo er einst stand. Der Kibo brachte es bis zu einer Höhe, wo sich Gletscher bildeten, er, „der Helle", ist unser Ziel. 5895 Meter, nach neueren Messungen 5893 Meter ist er hoch. Daneben, etwas über 5000 Meter hoch steht der Mawenzi, „der Dunkle". Ein gewaltiges, tausend Meter hohes Stück des Kibo-Gipfels brach vor 100 000 Jahren ab und bohrte sich in die Flanke des Berges; die beeindruckende Steilwand Kibo Barranco zeugt davon.
Die Route geht durch vier höchst unterschiedliche Klima- und Vegetationszonen, vom Regenwald über Moor und Heide bis in die Steinwüste der Gipfelregion. Und immer wieder, unter allen Beleuchtungen, im Dunst und in klarer Luft, in goldener Abendstimmung, nachts als dunkle Masse unter dem Sternenhimmel und morgens früh im Schatten liegend, sieht man den Kibo mit seinen leuchtend weißen Gletschern, dem „Schnee am Kilimandscharo". Der Weg zunächst hinauf
Gipfelsturm: Gottlob, die Fünftausendermarke ist überschritten, ich selbst weiß nicht, ob ich es schaffe, ich kriege kaum noch Luft, stolpere manchmal und schwanke, dass Fuzzy, der direkt hinter mir geht, mir immer wieder die Hand auf den Rücken legt. „Pole pole", langsam, langsam, sagt Honest; dieses Wort haben wir auf der gesamten Tour immer wieder gehört. Honest ist sehr aufmerksam, sehr engagiert; er setzt offenbar seinen gesamten Ehrgeiz daran, dass jeder es schafft. „Atme tiefer", höre ich Fuzzy sagen, „atme im Zweierrhythmus, auf zwei ein und auf zwei wieder aus". Es hilft sofort. Der Kopf wird wieder klar. Endlich Pause! Ich sinke auf einen Stein, stecke die fühllosen Finger zum Aufwärmen in den Mund. Es ist eisig kalt, minus 22 Grad, wird Honest später sagen. Er knetet mir durch sämtliche Jacken hindurch Nacken und Arme.
Natürlich haben die Männer trainiert, da will doch keiner der letzte sein - jeden Morgen sei er den Petersberg hinauf gespurtet, erzählt Lutz aus Bonn. Jeder gibt ein Stück aus seiner Jugend zum Besten, Sven erzählt, wie er als Kind seiner Mutter das Leben schwergemacht hat, Fuzzy von Abenteuern im indonesischen Dschungel, Paul gibt sich als „Patriziersohn" zu erkennen, bei einem Minister in Bonn sei er mal „der Mann fürs Grobe" gewesen. Und natürlich ist Boxen das große Thema: Sven erzählt von Kämpfen und unterschiedlichen Boxstilen, von unterschiedlich sachverständigen Typen von Publikum, die ein KO sehen wollen oder intelligentes Boxen, von der Macht der Ställe und Boxverbände. Jetzt will er vor allem eins: hinauf auf den Berg und dann wieder runter - so schnell wie möglich.
Gipfelsturm: Jetzt sehen wir die anderen. Kleine Glühwürmer kriechen den Hang hinauf. Unter unseren Füßen funkeln Edelsteine, es sind im Vulkangestein eingeschlossene Kristalle, die im fahlen Mondlicht glitzern. Der Weg wird immer länger, die Pausen werden kürzer, Honest treibt uns an, denn schließlich wollen wir bei Sonnenaufgang doch oben sein. Das schwerste Stück sind die letzten hundert Meter vor dem Stella-Point, benannt nach einer Bergsteigerin, die hier oben war. Wer hier anlangt, hat den Kilimandscharo bestiegen, obwohl der eigentliche Gipfel noch zweihundert Meter weiter oben liegt, am höchsten Punkt des weit geschwungenen Kraterrands. Auf den letzten dreißig Metern stoßen Sven und Ariel zu uns, Paul war zu ehrgeizig und liegt zurück. „Du schaffst es, nicht aufgeben", ruft Sven mir zu, „los, nimm alle Kraft zusammen." Es ist eine Quälerei, in der grobkörnigen Lavaasche rutscht der Fuß bei jedem Schritt wieder ein Stück zurück.
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