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Badische Zeitung, Samstag, 30. November 2002
Text & Fotos von Johannes Bachmann

Am dampfenden Wasser

Äthiopien zwischen Mythos und Wirklichkeit:
Am Horn von Afrika liegen Faszination und Elend nah beieinander

 

Mit Urgewalt in die Tiefe: Gischt an den Nilfällen nahe des Tanasees Meisterwerk der Architektur: die Felsenkirche Beta Györgis in Lalibela.
Mit Urgewalt in die Tiefe: Gischt an den Nilfällen nahe des Tanasees Meisterwerk der Architektur: die Felsenkirche Beta Györgis in Lalibela.

 „You! Money!" zischelt die Öffnung unter dem Loch, das einmal die Nase war, ein Armstumpf streift unsere Brust: „Birr" - Geld. Unter Wellblech und blauen Plastikplanen quellen zehn, dreißig, fünfzig Kinder hervor. Eine Frau mit Ohrring, der aussieht wie ein Vorhängeschloss, presst die Luft als gellendes Signal durch die Lippen: „Yiiiiiiieh“. Aus den fünfzig werden hundert, zweihundert. Ein Wall aus Leibern. Blinde, Zahnlose, Lahme, Fordernde umringen den „Ferenyi“, den weißen Fremden. Flöhe hüpfen im ersten Licht des Tages wie Funkenmariechen von Kopf zu Kopf. Der äthiopische Morgen riecht nach Schweiß, Kot und Urin. Vor einem Bretterverschlag verwest eine Ratte. Elend stinkt. „You! Ferenyi! Birr!" - Fremder, Geld! Der Kordon wird enger. Wir sind gefangen. Und wir schämen uns.


Keine dreihundert Meter von diesem Ort, den die Welt vergessen hat, haben wir im Sheraton, gerühmt als bestes Hotel Afrikas, unter fünf Sternen die Nacht verbracht, den Bauch gefüllt mit Rotwein und französischer Küche, in 2500 Meter Höhe umsäuselt von klimatisierter Luft. Vom Luxus ins Elend ist es nicht weit. Die Not ist überall und nirgends in Äthiopiens Fünf-Millionen-Hauptstadt Addis Abeba, der welken „Neuen Blume", die Kaiser Menelik Ende des 19. Jahrhunderts auf einem Hochplateau erbauen ließ.

Nüchtern listet Thomas Labahn, Leiter der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) in Addis Abeba, die Probleme des Landes auf, das auf einer Fläche so groß wie Spanien und Frankreich 67 Millionen Menschen und 80 Völker in babylonischem Sprachgewirr und mittelalterlicher Gesellschaftsstruktur vereint. Abgeholzt und verkarstet sind die seit archaischer Zeit mit Holzpflügen aufgebrochenen Böden, die mühsam mit Eukalyptus wieder aufgeforstet werden. Ein Land, zerrüttet durch das sozialistische Mengistu-Regime und den Eritrea-Krieg, seit 1991 Demokratie mit zerbrechlicher Stabilität, bedroht von Hunger und der Geisel Aids, die heute sieben Millionen den Tod bringt, gequält in Tradition: Äthiopische Mädchen werden, trotz aller Aufklärung von Hilfsorganisationen wie World Vision, vier bis sieben Tage nach der Geburt beschnitten. Es ist Feiertag in Addis Abeba. Trommeln dröhnen in einer Arena mit dreihundert Stadionstufen, auf denen einst Mengistus Soldateska paradierte. Mit galoppierendem Puls und raumgreifendem Schritt hat hier bei Sonnenaufgang, umringt von einer Hundertschaft hechelnder Jünger in bunten Trainimgsanzügen, Äthiopiens Nationalheld einen kindergroßen Schatten geworfen: Haile Gerselassie, zweifacher Olympiasieger über 10.000 Meter, Wunderläufer, Heilsbringer und vielleicht morgen der neue Präsident. Kaum ist der Schweiß der Läufer verdunstet, schwappt ein Menschenmeer über die Stufen. „Ehje, ehje, ehjeeeee...“ - die dünne Höhenluft, die den Puls beschleunigt, vibriert bei „Masqual", der Suche nach dem wahren Kreuz, dem Frühlingsfest der äthiopischen orthodoxen Christen, unter dem rhythmischen Gesang aus hunderttausend Kehlen. „Ehje, eh-jeee". Priester in vergoldetem Ornat, behütet unter samtenen Regenschirmen, verbergen ihre Würde hinter Ray-Ban-Sonnenbrillen. Sabbernde Pferde ziehen schwer an der Last der Prunkwagen. „Ehje, ehje, ehjeeeee.“ Christlicher Karneval auf Äthiopisch. Statt Kamellen gibt's nach fünf Stunden Taumel ein Freudenfeuer.

 

mit Hammer und Meißel ins Tuffstein getrieben
mit Hammer und Meißel ins Tuffstein getrieben

 

Zwei gekreidete Schriftzüge auf einer Schiefertafel, der Flugplan. Neben jedem Ohr quirlt ein Propeller. Ruhig wie eine Ente schwimmt die Fokker 50 nordwärts in die Vergangenheit, hinein ins magische Dreieck der antiken Städte Axum, Lalibela und Gondar. „Die Zukunft mag düster sein, doch ohne die Erinnerung an die glänzende Vergangenheit wäre sie unerträglich“, orakelt unser Reiseleiter Freddy Hess, Sohn eines Schweizer Vaters und einer äthiopischen Mutter. Der Blick aus dem Bullauge fällt auf gewelltes Grün. Ein Teppich, der dem Auge keinen Fixpunkt bietet. Kein Baum, kein Strauch. Was brennbar war, ist abgeholzt. Ein Land, das satt wirkt. Ein Trugbild. Die große Regenzeit, sie hat zu wenig Niederschlag gebracht. In fünf, sechs Wochen wird das Grün zu Staub zerfallen.
Zwei Eselkarren, luftbereift, warten vor dem Flughafen. „Taxi?" Freddy lächelt milde und bittet zur Fahrt nach Lalibela in einen von gelbem Lack und Gottvertrauen zusammengehaltenen Bus. Der Diesel keucht bergan durch einen Hohlweg, steil wie eine Bobbahn. Barfüßige Kinder, fliegenübersät, halten leichtfüßig Schritt. Männer in Plastikschuhen balancieren auf schmalen Schultern telegrafenstangenlange Eukalyptusbäume talwärts, Frauen mit ausdruckslosem Blick schleppen in braunem Burnos Krüppelholz auf krummen Rücken. Bettler mit Geschwüren kauern im Staub.

Grüner, kniehoher Flaum bedeckt die baumlosen Hänge am Fuße des 4190 Meter hohen Abuna Yosef - Teff, das Getreide Äthiopiens. Eine Handvoll Körner reicht als Saatgut für Parzellen, kaum größer als der Garten vor einem Schwarzwälder Einfamilienhaus - die Ernte ist zu groß zum Sterben, zu klein zum Leben. „Jeder kennt hier Hunger", sagt Freddy schlicht.

 

runkvoller Auftritt: Äthiopier beim Masqual-Frühlingsfest Für vergrößerte Darstellung auf das Bild klicken
runkvoller Auftritt: Äthiopier beim Masqual-Frühlingsfest Für vergrößerte Darstellung auf das Bild klicken

  Lalibela - ein weltvergessener Ort. Ort des achten Weltwunders. Tukuls, strohgedeckte Rundhütten, mit Bänken aus Lehm und Ziegenhäuten als Schlafstatt möblierte Heimstatt zehnköpfiger Familien, umringen ein Ensemble mit Hammer und Meißel ins rote Tuffgestein getriebener Felsenkirchen, entstanden im zwölften Jahrhundert nach einem Mordanschlag. Vergiftet, so die Sage, war damals König Lalibela in tiefe Bewusstlosigkeit gefallen und nach Tagen mit einer Vision aus dem Koma erwacht. Das neue Jerusalem wollte er bauen. Tausende Steinmetze bohrten sich ein halbes Jahrhundert lang ins Gestein und und schugfen Meisterwerke der Architektur. Beta Medhame Alem, der Welt größte monolithische Felsenkirche, durch ein schnödes Blechdach gegen Erosion geschützt, steht als gestrandete Arche in einem rechtwinklig ausgeschachteten Felskessel. Ein Klotz aus einem Stück. Auf Socken schleichen wir in die ausgehöhlte Basilika, Kassa Akele, 17-jähriger Schüler, der stolz sein Dreistreifenhemd zeigt, bewacht unser Schuhwerk. Weihrauchschwaden umklammern die Säulen. Aus der Sakristei schiebt sich in grünem Umhang ein Bärtiger durch den geteilten Wandteppich, der Allerheiligstes und Kirchenschiff trennt. Gemessenen Schrittes, mit eindeutiger Botschaft.
„You! Birr!" Das Knistern der Geldscheine löst eine Inszenierung aus. Schwungvoll enthüllt der Priester patiniertes Silber, reckt das bratpfannengroße Vortragekreuz als sei's eine Lanze, schlägt mit dem Gebetsstock die trockene Luft, zückt beim ersten Fotoblitz eine Sonnenbrille und holt eine in äthiopischen Hyroglyphen, dem „Ge'ez", geschriebene Bibel hervor, für die im Mittelalter 400 Ziegen ihre Haut lassen mussten.
Hinaus aus dem Tempel, durch einen mannshohen Tunnel führt der Weg über den Yordanos. Der imitierte heilige Fluss ist eine staubige Felsrinne. Aus einer Wandnische glotzt neben einem bandagierten Bein ein bleicher Schädel - die Reste einer Mumie. Von den gemauerten Palästen des Königs Fasilidas, der im 16. Jahrhundert in Gondar herrschte, sind es 180 Kilometer und sechs Stunden Schlaglochrumpeln nach Bahir Dar am Nordufer des Tanasees. Reisen im Schritttempo. Äthiopische Straßen sind Fußgängerzonen. Eine Eselkarawane wankt über die Schotterpiste südwärts, bepackt mit grünen Stangen, vor dem ersten und hinter dem letzten Langohr schlurfen Mützenträger mit umgehängtem Gewehr. Bewachtes Zuckerrohr? Freddy lacht: „Das ist Chat, eine Droge." Im Begegnungsverkehr schleppen zwei Schwitzende eine Bahre mit einem wimmernden Etwas. Ein Kranken-Eiltransport. Woher, wohin? Bis zum nächsten Krankenhaus sind es zwei Tagesmärsche.
In Serpentinen windet sich die Straße bergan durch leuchtendes Gelb: Masqual, die Kreuzblume, überwuchert einen ausgeglühten Schützenpanzer, rostendes Relikt des Bürgerkrieges. Über dem Dunst steht ein namenloser Riesenzahn aus Gneis. Hinter einer Haarnadelkurve Stimmengewirr. Der Menschenauflauf gilt einem Gestrandeten. Eloi Vidiella-Renard, Globetrotter aus Barcelona, kniet neben seinem Mountainbike und flickt den ersten Plattfuß des Tages. Durchgerüttelt, verschwitzt, erreichen wir um die Mittagszeit das Ufer des Tanasees, Bodenseegroße Quelle des Blauen Nil, auf der Papyrusboote dümpeln. „Töff-töff-töff" macht die Maschine des Ausflugsbootes, das bis vor einem Vierteljahrhundert auf dem ungarischen Plattensee Fische an Land zog. Eine Stunde dauert die Überfahrt zu den mit Bibeln, Trommeln und mandeläugigen Ikonen gefüllten Rundkirchen auf der Halbinsel Ura Kudani.

 

„Morgen Wecken um null Uhr“, droht Freddy und wünscht eine gute Nacht. Zeit hat in Äthiopien einen anderen Rhythmus. Das Jahr des julianischen Kalenders hat 13 Monate, morgens um sechs, bei Sonnenaufgang, beginnt die erste Stunde des Tages. Nebelschwaden halten die lästigen Fliegen am Boden, das schüttere Gras ist noch taufeucht, als wir uns im Morgengrauen dem fernen Rauschen nähern, das mit jedem weiteren Schritt langsam anschwillt wie Ravels Bolero. Büsche verstellen den Blick auf das Erahnte.
Dann lichtet sich das Grün. Aus dem Rauschen wird Tosen. Vor uns tobt der Blaue Nil als weiße Gischt über braunen Fels vierzig Meter in die Tiefe. Die ersten Sonnenstrahlen brechen sich in den wirbelnden Tropfen. Ein Regenbogen schießt in Sekundenbruchteilen über Tiss Isat, das „dampfende Wasser". Sprachloses Staunen.
Selbst Freddy sagt nichts. Da legt sich eine Hand auf unseren Arm. „You..!"

 

INFORMATIONEN

 

Beste Reisezeit:
Grün ist Äthiopien zwischen August und.Oktober, Farbenpracht versprechen die kirchlichen Feste zwischen Weihnachtsfest (7. Januar) und dem Epi-phanias-Fest am 19. Januar, sowie Neujahr (11. September) und dem Masqual-Fest am 27. September.

 

Reiseveranstalter:
Afrika Reisen Exklusiv,
Karl-Simrock-Str. 64 b,
53604 Bad Honnef,
Tel. 02224/90036-3,
Fax: -4,
www.afrika-reisen-exklusiv.com,
kontakt@afrika-reisen-exklusiv.com.

Karte Äthiopien
Karte Äthiopien

 

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