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Süddeutsche Zeitung, Dienstag, 8. Januar 2002
Text & Fotos von Arnd Wesemann

Eine Edel-Safari durch Botswana

Picknick im Irgendwo

Trockener Gin in der Regenzeit:
Zwischen Termiten und Löwen wird mitten in der Wüste aufgetischt

Endlose Kalahari!
Endlose Kalahari!

Endlose Kalahari. Die größte Halbwüste der Welt. Hoch oben Sahnewolken, aufgereiht wie himmlische Heerscharen. Sie tragen Regen, sagt Kyle, der neuseeländische Pilot. Sein lustiges Englisch klingt wie: "Endlich kalben sie." Er fliegt die kleine Cessna von Maun, einem Marktflecken mitten in Botswana, stur nach Süden. Der Kompass bewegt sich nicht, die Höhennadel zeigt 5500 Fuß, der Copilotenknüppel schüttelt bei jeder kleinen Böe seine Hörner.



Manchmal lehnt sich Kyle vor, um besser zu sehen. Da unten liegt das denkbar modischste Vorwerk-Teppichmuster in lindgrün, besprenkelt mit Gebüsch, durchzogen von Webfehlern, kerzengerade wie Klebeband: Straßen und Staubpisten, die irgendwo anfangen und im Nichts enden. Wie Rotweinflecken kleben die Schatten der Wolken auf der platten Landschaft. Es hat geregnet. Sonst wär's hier nicht lindgrün, sondern korkenbraun.
Die Regenzeit. Im November setzt sie ein. Kyle ist ganz aufgedreht. Susan ist es auch, als sie uns von der Landesandpiste abholt, an drei feuerroten Wassereimern und zwei Feuerlöschern vorbei. Noch vor ein paar Tagen trug hier kein Busch ein Blatt, kein Tier konnte sich verbergen. Ein paar Minuten Regen, sagt Susan, und ihr Zeigefinger markiert einen Zauberstab: "Piff, so hat sich die ganze Landschaft verändert."
Regen heißt auf botswanisch Pula, wie die Landeswährung. Auch Prost heißt Pula. Alles, was ein Segen ist, heißt Pula: Wasser, Geld, Glück. Deception Valley Lodge steht auf dem Schild, zu deutsch, das Tal der Täuschungen. Im Gästebuch dieses winzigen Hotels steht euphorisch: "In the middle of somewhere . . . elevated". Mitten im Irgendwo. Erhöht. Ein winziger Haufen Safari-Touristen schaut schüchtern. Irgendwo zwischen quakenden Fröschen, die bei Regen sich oft nach Jahren ausgetrockneten Tiefschlafs aus der Erde buddeln. Ringsum Salzsenken, die sich in schlammige Wasserlöcher verwandeln. Am Horizont Antilopen, Weibchen, die die wundersame Fähigkeit besitzen, ihre Niederkunft bis zum ersten Regen hinauszuzögern.
Davor säuberlich aufgereihte Liegestühle am Swimming Pool der Lodge, gleich neben dem teakhölzernen Haupthaus. In gebührlichem Abstand voneinander stehen fünf wunderbar eingerichtete Wohnhäuser auf kurzen Stelzen. Man lümmelt sich in Sofas, das Abendessen duftet, danach wird der Humidor mit Zigarren gereicht. Susan, aufgezäumt wie eine Königin in einem entzückenden Abendkleid aus Johannesburg, serviert Rock Shanty auf Eis: Angustura, Lime, Soda, Zitrone.
Das glühende Ende der Zigarre unterm endlosen Sternenhimmel glänzt mit einem leuchtenden Paar Hyänenaugen aus einem entfernten Gebüsch um die Wette. Das polyphone Froschkonzert tönt gegen die krächzenden Nachrichten des Weltempfängers. Es ist, als wäre man in einem Picknickkorb vom Himmel gefallen. Dieses Gefühl britischer Herkunft wird einen nicht mehr verlassen. Sicher, man sei hier, um Elefanten, Löwen, Leoparden, Geparden, Strauße, Giraffen und seltene Vogelarten anzugucken. Aber nicht, wie etwa in der Serengeti, um aus zahllosen Hotels auf Unimogs mit hunderten von Touristen eine Sternfahrt zu einer Elefantenherde zu unternehmen. Sondern um Gast zu sein bei Susan und ihrem Mann, Braam Badenhorsd, Eigentümer eines 30 000 Fußballfelder großen Areals reiner Pampa, das hier "Game" genannt wird. Braams Gehege ist eingezäunt von einem dreifachen Gatter, eins gegen die Maul- und Klauenseuche, eins, um sein Revier zu markieren und eins, das den südlich gelegenen Central-Kalahari-Nationalpark begrenzt. Mitten durch die blühende Wüste führt der "Veterinärzaun", der aussieht wie die DDR-Grenze.

Kopfgeld für einen toten Hund

Elefant
Elefant
Leopard
Leopard
Rinder in dieser endlos flachen Wüstenpampa waren neben der Jagd über Jahre die einzige Einnahmequelle. Vor elf Jahren hütete auch Braam noch Vieh. Dann stieg er um auf "Game Farming". Unter den Markisen auf der Teakterrasse fummelt Braam an seinen Schürfwunden. Früher, sagt er, wurde ein Löwe, der ein Rind reißt, so sich Gelegenheit bot, von den Farmern erschossen. Nun zahlt die Regierung - auf Druck der Tourismuslobby - ein Kopfgeld. Der Farmer erhält Geld für jedes gerissene Tier und muss der Raubkatze nicht mehr hinterher. Selbst für einen getöteten Hund bekommt er noch 75 amerikanische Cent; nur für einen Menschen gibt es nichts.
Denn in welche Lodge man auch kommt, der Gast unterschreibt ein "lndemnity" -Formular, das den Hotelier von jeder Verantwortung entbindet, sollte eine Elefantenherde aus dem Ruder laufen oder versehentlich eine Giftschlange zubeißen. Niemand kann einen vor der Natur schützen - selbst wenn man sich mit Zäunen und Nachtwachen alle Mühe gibt: Ein Menschenleben wird hier nicht in Geld aufgewogen.
Und nun her mit dem Risiko! Safari-Touristen sind wild auf den Land Cruiser, der sie schaukelt; die nächsten Tage werden sie ihren Guide ununterbrochen für seine scharfen Augen lieben, der noch im tiefsten Gras einen seltenen Steinwaran entdeckt, und ihn achten für sein Wissen, als höre man ein lebendes Flora- und Faunabestimmungsbuch ab. "Kein Tourist kommt wegen Gras", sagt Braam. Safari, das ist das Kisuaheli-Wort für "Reise". Was man sich so auch vorstellt: in einem offenen Land Cruiser durch die Landschaft fahren, äsende Giraffen knipsen und an Tümpeln ausharren, bis die Flusspferde endlich ihren Kopf aus dem Wasser heben - all das ist typisch. Noch typischer aber sind die unglaublichen Geschichten, etwa die, dass man ganz nah an einer Elefantenherde und still gewesen sei, nur dieses Klicken der Spiegelreflexkameras -, sich dann aber, ohne jede Vorwarnung, aus der Herde eine Elefantenkuh löst, sie sich wie ein verkörpertes Erdbeben in Trab setzt, tonnenschwer genau auf das Auto zuhält, der Anlasser nicht anspringt, natürlich, das Riesenvieh mit flatternden Ohren immer näher kommt, das Bassdröhnen ihres nun galoppierenden Angriffs das Blut in den Adern gefrieren lässt, und endlich der Anlasser reagiert, die Kuh ihre Verfolgung aber nicht im Traum aufzugeben gedenkt, ihr Trompeten schon fast ins eigene Gesicht bläst, bis der Fahrer das verfluchte Gaspedal ins Wagenblech rammt, und man ihn, das sonst so souveräne Flora- und Faunabestimmungsbuch, endlich mal mit blassem Gesicht erleben darf. Diese Geschichten sind wahr, weil ohne den Pfeffer solcher "true wilderness" all das nur ein Erlebniszoo wäre.

Ist er aber nicht. Sondern der Gipfel des Luxus im Abendkleid ohne Risikoschutz - und damit das genaue Abbild der Welt der Reichen: Gerade das gelinde Risiko reizt, gern genossen bei einer Flasche Champagner. Die Liebe zu naturstrenger Schönheit fasst den hier gebotenen höfischen Luxus wie einen Diamanten ein. Bis zu fünf Angestellte kommen auf einen Gast, der diese allerdings nur zu sehen bekommt, wenn es notwendig ist. Dafür findet er - etwa in der Nxabega-Lodge im Norden Botswanas - einen handgeschriebenen persönlichen Willkommensgruß in seinem zeltartigen Einzelhaus (Zimmer wäre kein Luxus), vergoldete Wasserhähne, ein ledergebundenes Tagebuch, zwei Sorten Bademäntel. Morgens wird der Kaffee in einer Thermoskanne im Picknickkorb vor den Mückenvorhang gebracht, dazu ein zauberhaftes "good morning, Sir" geschmettert. Im übrigen lebt der Gast zwar inmitten vermeintlicher Angreifer, Skorpione und Tse-Tse-Fliegen, delegiert deren Vernichtung aber an Aerosol versprühende, fliegenklatschenbewehrte Angestellte, die summa summarum ein Dorf bilden, das in seiner ursprünglichen Form nirgendwo zu entdecken ist. Es scheint, als lebe der Botswani hinter einer Holzwand, die zur Küche führt. Will man die Einwohner in Aktion sehen, lässt man sich besser ein Zeltlager aufbauen, für das der legendäre Elefantenjäger Ernest Hemingway seinen Namen spenden durfte.

A la Hemingway in der Wildnis zu campen, ist besonders lustig. Da schleppt ein junger Herr namens Amos mit Walkman in Ohr ein Wasserklosett aus Porzellan n den Busch, hängt einen Wassersack darüber und wickelt einen Vorhang drumrum. Das transportable Wüsten-WC mit Hakle-Feuchtpapier gehört hier ebenso um Standard wie das Hauptzelt mit 72 Sorten starker Alkoholika, die dem Safari-Touristen zum Nachtisch gereicht werden - "all inclusive", angekarrt aus 50 Kilometern Entfernung. Fehlt nur inmitten der Zebras, Geier und Büffel eine Partie Golf zu spielen. Am Chobe Nationalpark im äußersten Nordosten Botswanas, erzählt man, sei dies möglich, am Krokodilreichen Ufer des Chobe-Flusses in der Mowana Safari Lodge.
Andere mit dem Hauch von Luxus umkränzte Sportarten, etwa für 50 000 amerikanische Dollar eine Konzession zu erwerben, um einen der 70 000 Elefanten erlegen zu dürfen, gelten dagegen als hoffnungslos senil. Die Wildhüter würden einem nur ein Alttier vor die Flinte bringen, das ein, zwei Tage später sowieso eines natürlichen Todes stürbe. Wer will sich damit schon brüsten?
Eine Safari-Gesellschaft hält auf sich. Aus unerfindlichen Gründen tragen die Herren alle Khaki mit kurzen Hosen, die Frauen Jeans und Bluse, nur abends wenn die Mücken schwärmen - ein kurzes Kleid. Dafür sind die Sitten herzlich und etwas rau. Wenn zum Sundownerdrink Myriaden von Flugtermiten den Himmel verdunkeln und den auf der Moorhaube kredenzten Gin-Tonic als Landebahn missbrauchen, ist es angezeigt, an den alkoholgetränkten Insekten zu naschen und deren geschmackliche Vorzüge zu diskutieren.
So aber sind hier auch noch Safaris möglich, die ganz der Andacht der Natur gewidmet sind. Zum Beten braucht man ein möglichst langes Teleobjektiv. Dazu wird geflüstert und auf Leoparden im Baum gedeutet. Wie viel ordinärer ist es da, das, was auf dem Wasser laufend sein Gefieder ordnet, Jesusvogel zu nennen. Oder den Schreiseeadler, der achtlos an dem Heiligen vorbeilinst, in Gewerkschaftsadler umzutaufen, weil jene Vogelart nur 15 Minuten am Tag arbeitet. Natürlich staunen die Herren, wenn sie erfahren, dass die männliche Impala-Antilope 35 Weibchen im Harem hat. Sein mit viel Ehrfurcht bedachtes Problem ist, dass bei allen Weibchen das Moment der Fruchtbarkeit gleichzeitig eintritt.

Neben den königlichen Lodges und dem fürstlichen Hemingway-Camping gibt es eine verhältnismäßig preisgünstige Variante: das sogenannte Pioneer-Camp, das mit dem europäischen Zeltplatz identisch ist. Auch hier wird der Gast am Lagerfeuer bei Selbstgegrilltem mit Anekdoten belohnt. Etwa die vom heimlich unter dem Zelt vergrabenen Hühnchen. Schläft der Bewohner, wühlt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Hyäne unter dem Schlafenden bis zur Delikatesse vor. Sehr wirkungsvoll soll sein, Fleischstücke außen ans Zelt zu hängen. Vor Begeisterung über die leichte Beute ziehen die über die Schnüre stolpernden Tiere das ganze Zelt hinter sich her, immer den armen Schläfer im Schlepptau. Als besonders unbeliebt gelten hier diebische Paviane, die folgendermaßen geärgert werden: Man stecke eine Plastikschlange in einen der zahlreichen wie Kriegerdenkmäler wirkenden Termitenhügel, und stopfe der Schlange eine Tomate ins Kunststoffmaul. Paviane lieben Tomaten, fürchten aber Schlangen derart, dass mancher Affe darüber schon einer Herzattacke erlag.
Geärgert wird sich mitunter auch ernsthafter. Botswanas Regierung hat einen gewissen Zusammenhang zwischen Hochpreispolitik und blühender Volkswirtschaft erkannt - und gibt sich alle Mühe, den Tourismusumsatz mit dem Haupteinkommen Botswanas, den Diamanten, vergleichbar hoch zu halten. Dazu und aus ökologischer Weitsicht - die Serengeti ist abschreckendes Vorbild - begrenzt sie die Bettenzahl einer Lodge und verlangt, dass dem nächstgelegenen Dorf eine so hohe Konzession gezahlt wird, zusätzlich zu einer Arbeitsplatzgarantie, dass sich das Label "Öko-Tourismus- von selbst ergibt. Manche Einwohner sind darüber zu Schildbürgern geworden. Denn wozu arbeiten, wenn sich auch so von der Konzession leben lässt? Also steigert man die Gebühren derart, dass etwa das Elephant Camp im Okavango-Delta aus Protest seine Tore schloss. Auch andere Luxusanwesen wie die Kwai River Lodge mit Elektrozaun und Rettungsringen am Ufer sehen erbärmlich leer aus, in Folge, heißt es, ausbleibender Amerikaner. Aber es lässt sich vermuten, dass auch hier die Konzessionspreise nach der Talfahrt des südafrikanischen Rand in schwindelerregende Höhe zurückgetrieben werden sollen.

Rasten vor sieben Löwen

Rasten auf Safari ...
Rasten auf Safari ...
Dinner im Busch
Dinner im Busch
  Was den Europäer nicht beunruhigen muss, weil er erstens pauschal, also all-inclusive bezahlt, sein amerikanisches Bargeld allerdings ohne Knauserigkeit als Trinkgeld verschwenden darf, und er zweitens sich doch noch mal umgucken sollte, wo in diesem gewaltigen Irgendwo er sich überhaupt befindet. In Botswanas Norden fließt aus Angola kommend der mächtige Strom Okavango mitten in die Wüste Kalahari - und versickert dort fast spurlos in einem unglaublich breiten Delta, zwischen Schilfwäldern, durch die die Flusspferde schmale Pfade trampeln. In ihrem unübersehbar weit verzweigten Labyrinth aus Wassergassen flitzt man ihnen per Motorboot hinterher - in der Tat, das ist eines der wunderschönsten Flecken dieser Erde, ein Naturwunder, verschont vom Massentourismus.

Und wenn man nach getaner Irrfahrt durch den Schilfdschungel vor sieben Löwen Rast macht, in der Annahme, sie seien wie meistens einfach satt, dann aber den Irrtum einsieht und zusehen muss, wie sie wie die Sieben Glorreichen den Land Cruiser ansteuern und schon mal ihre Lefzen befeuchten, dann ist einem alles egal. Dann will man nur noch eins: als Überlebender den Luxus genießen und fürstlich selber speisen. Das kann man hier, im Irgendwo, in durchgehend sensationeller Sternekochqualität.

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