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Süddeutsche Zeitung, Dienstag, 14. Dezember 2004
Text von Arnd Wesemann

Würde ohne Angst

Zwei Jahre nach dem Bürgerkrieg öffnet sich Angola erstmals wieder den Touristen

 

Leben hinter Ruinen: In Angola ist zwar Frieden eingekehrt, aber das Land und seine Dörfer sind noch vom Krieggezeichnet.
Leben hinter Ruinen: In Angola ist zwar Frieden eingekehrt, aber das Land und seine Dörfer sind noch vom Krieggezeichnet.

Die Reise geht zur Küste. Weg von den Savannen, in denen Elefanten, Löwen, Antilopen und Geparde die Touristen locken. Hier wurde das Wild zwischen den Fronten geschossen und verzehrt. Cabo Ledo. Der Strand liegt anderthalb Stunden südlich der Hauptstadt Luanda, in der die Hälfte der verbliebenen Angolaner, nur noch sieben Millionen, leben. Eine einfache, saubere Lodge. Daneben ein Fischerdorf, aus Elefantengras zusammengesteckte Hütten. Trockenfisch in weißen Säcken. Milder Atlantik. Kaum Wellen. Der Himmel ist bedeckt vom Küstennebel Cacimbo. Draußen der fischreiche Benguelastrom. Am Strand Krabben, die gleichsam von selbst in den Kochtopf wackeln.


Hier wohnt die Erholung von der zuvor besuchten Stadt, von den Geschichten der Lebenden.

Er freut sich aufrichtig, dass er einen Deutschen sieht. Der Alte müht die Reste der Sprache hervor, die er vor gut zwanzig Jahren in Freiberg südwestlich von Dresden erwarb. Damals lebte er mit hundert anderen angolanischen Männern kaserniert in einem Plattenbau mit Kaufhalle, Bäckerei und einer Kneipe, die bei den Freibergern „Zum Affen“ hieß. „Zum Affen“, sagt er säuerlich tonlos am staubigen Straßenrand südlich von Lubango, einer schlichten Mittelstadt, nur dass über ihr exakt das gleiche Christuskreuz thront wie auf dem Zuckerhut in Rio. In diesem Irgendwo am westlichen afrikanischen Grabenbruch, in einer Savanne aus Büschelvegetation und Baobab- Bäumen glaubt kein Mensch, dass hier ein Mensch wohnt. Der weiße Mercedes Sprinter, ein geräumiger Geländewagen, hält auf dem trockenen Lehmplatz

 

Über Stunden hat das Auge kein Haus, keineHütte gesehen. Und nun steht er da wie aus dem Nichts. Verblüffend gut gekleidet. Dunkelgrauer Anzug. Er reicht die Hand, der der Ringfinger fehlt. Vor zwanzig Jahren, sagt er, wurde er vom Bürgerkrieg weg ins deutsche Bruderland verschickt, um Braunkohle zu pressen, umzu lernen, wie er im Fall eines Sieges der russischen und kubanischen Truppen „sein“ Land bodenschatztechnisch würde ausbeuten können. Gibt es in Angola Braunkohle? Nein, sagt er. Von Deutschland weiß er noch, dass die Algerier einmal ein bisschen gegen den Rassismus der Kasernierung gestreikt hatten, so dass all die braven Freiberger gleich den Geruch von Krieg in der Nase hatten.

Vor zwei Jahren verzog sich der Geruch des tatsächlichen Krieges buchstäblich über Nacht. Angolas sehr langsam geführter, allgegenwärtiger, punktuell immer neu aufflammender Krieg war vorbei. Die Grenzen sind nun wieder offen. Die Grenzen innerhalb Angolas, gezogen von den Kriegsparteien, die einsame Inseln schufen in einem weiten Land von den Wüsten im Südwesten hin zum Dschungel im Nordosten. Ein Patchwork von Kampfgebieten aus winzigen Fürstentümern der Kriegsherren. Unsichtbare, von Minen, Stalinorgeln, Kalaschnikows markierte Eilande in der unterschiedslosen Weite, verteidigt durch die von den Chinesen unterstützte Partei FNLA, durch die von den Russen, Kubanern und den osteuropäischen Ländern unterstützte MPLA und durch die von den USA, Namibia und Südafrika unterstützte UNITA. Diese drei Parteien fochten zermürbende Stellungskriege aus. Panzerwracks und ausgebrannte Fahrzeugkonvois säumen den Weg, und je weiter man nach Osten kommt, desto dichter werden heute noch die ungeräumten Minenfelder, siehtmanOrtschaften wie Quibala mit seinen zersiebten Häusern und eingestürzten Betonbauten, vor deren Ruinen ungerührt die Marktgeschäfte wieder aufgenommen wurden.

 

Der einstige „Gast“ von Freiberg zeigt mit seiner vierfingrigen Hand in Richtung angolanische Küste, wo zwei Städte, Benguela und Lobito, keine hundert Kilometer auseinander liegen. Um von der einen in die andere Stadt zu reisen, konnte man zwanzig Jahre lang nur fliegen. So kannten sich bald Verwandte und Freunde nichtmehr. Denn wer konnte sich das Fliegen schon leisten?

 

In den Alltag ist Normalität eingekehrt, die Männer fischen nun wieder.
In den Alltag ist Normalität eingekehrt, die Männer fischen nun wieder.
Karte Angola
Karte Angola

Heute ist Angola wieder bereisbar. Organisiert und durch portugiesisch sprechende Ortskundige, die wiederum bei den Passanten, Bauern und Marktfahrern sich des Weges versichern – was so einfach nicht ist. Eine Cahama-Frau reagiert vor dem Geländewagen panisch, verschwindet im Busch. Unauslöschlich ist ihre Angst vor Entführung oder Vergewaltigung durch die Fremden.

Krisensitzung. Wohin geht die Reise? In Richtung Nachkriegs-Tourismus? Zerstörte Brücken angaffen und sie unter dem Risiko fotografieren, von schießerprobten Polizisten erwischt zu werden? In bescheidenen Herbergen übernachten, um paralysierte Menschen nach einem Krieg auszufragen, den sie vorerst verdrängt haben wie einen Albtraum? Warum erzählt der Mann aus Freiberg von ferner Braunkohle, aber kein Wort über sein Leben auf dem Lastwagen, DDR-Marke IFA, mit dem er Waren über die grabentief durchlöcherten Straßen schaukelt? Fahrzeuge sehen auf diesen schnurgerade geschaufelten Wegen aus, als würden sie um die markerschütternden Schlaglöcher herum wie vor dem Wind kreuzen. In alten Bussen geht es an rückkehrenden Flüchtlingskonvois vorbei über namenlose Feldwege, die zweihundert Kilometer von Ortschaft zu Ortschaft ein Gelände durchziehen, das nur gelegentlich eine verfallene Kolonialfarm etwa bei Chibia und einen Marktplatz säumt, auf dem mageres Vieh, mit afrikanischen Mustern bedruckte Tücher aus Thailand und Reste deutscher Altkleidersammlungen gehandelt werden.

Nein, niemandem ist zum Heulen zumute. Sie leben. Sie leben in der Stammestracht der Mumuilas, mit lehmbedeckten Haaren,mit Seilen, die als Büstenhalter rigoros um die nackten Brüste gewickelt werden. Sie leben mit der Intensität der Überlebenden. Biertische, Ginflaschen, gepflückte Früchte säumen sämtliche Ortschaften.

 

Im Hinterland der Nationalpark von Quicama. An der Straße markiert ein Schild mit Krabbenwahrzeichen die Lodge von Amilcar Queiroz, einem Bullen von Mann mit kammsteifem Schnäuzer, 48 Jahre alt, unerschrocken und trinkfest wie ein 25-Jähriger. Amilcar Queiroz sieht aus, als hätte er Angola auf seinen Schultern getragen, ein Atlas des Krieges, ein Trunkenbold, aus dem eine so noch nie gesehene Freiheit schreit, ein Macho, dem jede Rücksicht abhanden gekommen ist, in dessen Gedanken unzählige Gewehrkugeln immer noch in die Leiber seiner Feinde eindringen. Mit unendlich milde gestimmten Augen misst er den Kreis um seinen bescheidenen Horizont ab: „Hier“, sagt Queiroz, „kann ich in Ruhe weiter in der Vergangenheit leben.“

Queiroz ist hellhäutig, er stammt von Portugiesen ab; als Angolaner trat er in die südafrikanischeArmee ein, mit der er an der Seite der „demokratischen“ UNITA kämpfte, dann als Sergant Colonel zur „sozialistischen“ MPLA wechselte, die sich gerade mit der „maoistischen“ FNLA verbündet hatte. Sein Ziel war es, aus diesen beiden Armeen eine zu machen. Mitten im Krieg, 1998, warf er das Handtuch. Wer gegen wen kämpfte, wer auf welcher Seite stand, wurde immer undurchschaubarer. In dem auf Angolas Boden entzündeten Krieg der Weltmächte um Öl, Kupfer, Wolfram, Diamanten gab es keine eindeutigen Fronten mehr, jeder wechselte beliebig hin und her. Ohne Papiere. „Meine Dokument“, lacht Queiroz, „ist mein Gesicht“. Heute noch. Kein Polizist, der sich dem Hünen in den Weg stellte. Das Gesetz des Dschungels ist die Anarchie des Mächtigeren. Grand frère gegen petit frère. „Hütet euch“, lacht er ohne jeden Zynismus, „als Weiße die Regeln der Schwarzen zu befolgen. Ihr habt das Geld, nur so verdient ihr Respekt.“

 

Queiroz hat Angst vor gar nichts. Ein Volk, das den Krieg überlebt, verachtet Duckmäuser, Spießer, Kleingeister. Oder beutet sie aus. Der Weiße ist also bestenfalls der reiche Zoobesucher, der auf gleicher Augenhöhe von angolanischen Zoobesuchern betrachtet wird, skeptisch, solang, bis der weiße Mann seine Zähne zu einem Lachen bleckt. Oder sein Portemonnaie öffnet. Angola ist teuer. Die Wucherpreise eines unter Kriegsmangel leidenden Landes sinken nicht binnen zwei Jahren. Damals, nach dem Mord an UNITA-Chef Jonas Savimbi endete das Schlachten von einem Tag auf den anderen am 4. April 2002. Kurz danach flammte es in der nördlichen angolanischen Außenprovinz im Kongo, in Cabinda, wieder auf beim Versuch, sich von Angola unabhängig die Rechte an den gewaltigen Ölvorkommen an der Küste zu erstreiten. Aber davon spürt man hier an der gigantischen Küste nicht das Mindeste.

 

 

 

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