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Sport-Bild, Mittwoch, 1. Oktober 2003
Text von Lars Dobbertin

Ottke auf dem Kilimanjaro

Der Box-Weltmeister bestieg in sechs Tagen Afrikas höchsten Berg.

Sport-Bild-Reporter Lars Dobbertin begleitete Sven Ottke bis auf
5895 Meter Höhe. Sie erreichten den Gipfel im Morgengrauen,
bei 22 Grad minus.

Gratulation, Sie sind jetzt am Uhuru Peak: Ottke an den Holzschildern auf dem Gipfel.
Gratulation, Sie sind jetzt am Uhuru Peak: Ottke an den Holzschildern auf dem Gipfel.

So quälend hatte sich Sven Ottke (36) den letzten Anstieg im schlimmsten Traum nicht vorgestellt. Fünf Tage ging es erträglich bergauf. Jetzt, kurz vor dem Gipfel des Kilimandscharo, verlassen auch den Box-Weltmeister die Kräfte. »Ich habe mich gefühlt«, sagt Ottke später, »wie ein 85-Jähriger.«

Als würde er angeknockt durch den Ringwanken, schleppt sich Ott­ke mit kurzen Schritten durch den pulvrigen Lavastaub. Den linken Fuß schiebt er Zentimeter nach vorn, den rechten hinterher. Das Ganze drei-, viermal. Wieder muss Ottke Zeit nehmen, sich auf einen Stein setzen, tief durchatmen


Das Thermometer zeigt 22 Grad minus, der Höhenmesser 5700 Meter. Am Gipfel des Kilimandscharo, dem Uhuru Peak auf 5895 Meter Höhe, wartet das Paradies auf Ottke. Aber Ottke stehen noch die schwersten Schritte seines Lebens bevor.

Sechs Tage vorher hatte die Expe­dition am Fuße von Afrikas höchstem Berg begonnen. Ein dunkler Range Rover bringt die Gruppe - Ottke, Sport-Bild-Reporter Lars Dobbertin, weitere fünf Männer und eine Frau - über staubige Serpentinen zum Machame Gate auf 1800 Metern, dem Ausgangspunkt. Die Straße säumen Bananen- und Tabakplantagen, kleine Tonhütten der Bergbewohner.

Ottke ist unvorbereitet. »Ich habe spontan >hier< geschrieen, als das Angebot kam. Aber überhaupt nicht darüber nachgedacht. Andere lesen vorher im Internet, welche Routen man gehen kann. Ich habe einfach die notwendigen Sachen gepackt, dann ging es los. Als wenn ich von Karlsruhe nach Köln zum Training fahre.«

Ottke ahnt nicht, was auf ihn zukommt: 91 Kilometer zu Fuß, fünf schlaflose Nächte und immer wieder die Frage nach dem Warum.

Als Einziger trägt Sven Ottke seinen Rucksack selbst, »dann spare ich das Trinkgeld«. Das übrige Gepäckausrüstung, Zelte, Lebensmittel - übernehmen schmächtige tansanische Träger. Spärlich bekleidet in Jogginghosen und ausgelatschten Turnschuhen schleppen manche von ihnen Säcke mit über 3o Kilogramm. Sie verdienen fünf Dollar am Tag.

Ottke ist bester Laune, während er durch den Regenwald marschiert - anriesigen Farnen vorbei und mächtigen Bäumen mit moosigen Stämmen, über dicke Wurzeln. Ottke singt: »An der Nordseeküste«. Sechs Stunden, 18 Kilometer, vergehen wie im Flug. Es ist 18 Uhr, als eine kleine Zeltstadt auftaucht.

 

Sven Ottke dreht sich noch einmal Richtung Fotograf um, dann verschwindet er im Dickicht des Regenwaldes. Ab jetzt wird's gefährlich für den Boxweltmeister
Sven Ottke dreht sich noch einmal Richtung Fotograf um, dann verschwindet er im Dickicht des Regenwaldes. Ab jetzt wird's gefährlich für den Boxweltmeister

 Hier, auf 3000 Meter Höhe, bekommt die Wanderung für Ottke den Anstrich eines Abenteuers. Denn luxuriös darf man sich das Leben während einer Kilimandscharo-Besteigung kaum vorstellen. Jeden Abend reichen zwei Helfer frisch gekochtes Essen in ein beengtes, kaltes Zelt: Suppen, Nudeln, Obst, schwarzen Tee.

Zehrend sind die Nächte, die stets schon am frühen Abend beginnen. Die schmalen, dünnen Matten, die in den kleinen Zweimannzelten ausliegen, sind hart und isolieren kaum. Ottke schlüpft gegen acht Uhr in seinen Schlafsack. Zunächst in dickem Fleecepullover, bis er schwitzt. Dann in dünnem Hemd, bis die Kälte an ihm nagt. Der steinige Boden drückt auf die Beckenknochen. Ottke friert, wälzt sich. Um zwei Uhr morgens gibt er die erste Nacht verloren.

Gegen 6.30 Uhr steht er als Erster vor dem Zelt. Die Sonne scheint, die Luft ist klar und lässt den Atem ge­frieren. Der Gipfel ist zu sehen, zum ersten Mal frei von Nebel, ein schneebedeckter Berg, mitten in Afrika. »Man denkt«, sagt Ottke, während er die Hüften zur Mor­gengymnastik kreisen lässt »das ist in einem Tag zu schaffen, zack, da gehe ich jetzt rauf. Es sieht nicht nach 3000 weiteren Höhenmetern aus.«

 

Morgentoilette: Träger rachten warmes Wasser zum zähneputzen
Morgentoilette: Träger rachten
warmes Wasser zum
zähneputzen
Eiskalte Nächte: Ottke und Sport-Bild-Reporter Lars Dobbertin
Eiskalte Nächte:
Ottke und Sport-Bild-Reporter
Lars Dobbertin
Im Schneckentempo: Der Weg ist steinig, die Luft dünn
Im Schneckentempo: Der Weg
ist steinig, die Luft dünn
Das Paradies: Sonnenaufgang am Uhuru Peak. Ottke ist oben.
Das Paradies: Sonnenaufgang am Uhuru Peak. Ottke ist oben.

 Zwei Möglichkeiten gibt es, die Besteigung des Kilimandscharo anzugehen. Die erste: wandern und die Natur genießen. Bis zum Gipfel des Vulkans sind fünf Klimazonen zu durchqueren. Die Vegetation wird von Tag zu Tag spärlicher. Aus üppigen Wäldern werden Büsche, später Sträucher, schließlich vereinzelte Gräser und am Ende eine karge, unwirtliche Mondlandschaft aus Gestein. Man durchquert Schluchten, passiert Wasserfälle. Sven Ottke hat dafür keinen Sinn. Er bevorzugt Variante Nummer zwei und sieht die Besteigung als sportliche Herausforderung. »Ich will da hoch und fertig. Ich gucke nur auf den Boden, um jeden Schritt bewusst zu setzen. Ich kriege von der Natur nichts mit, außer bei Pausen, aber die mache ich ungern.«

Ottke arbeitet jede Etappe ab wie einen Trainingsplan. Er hat schnell sein eigenes Tempo entwickelt für diese Besteigung. Der normale Wan­derer bewältigt den Kilimandscharo in nachlassender, immer langsa­merer Geschwindigkeit. Irgendwann schreitet er nur nach mühselig voran. Die sauerstoffarme Höhenluft nimmt einem den Atem. Jede mutige, zackige Bewegung wird bestraft. Der Puls schnellt augenblicklich in die Höhe. Der Körper verlangt um so mehr nach Pausen.

Auch an Tag zwei, drei, vier und fünf wieselt Sven Ottke der Gruppe weit voraus. Nur auf den Fußballen, wie als Boxer im Ring, tanzt er leichtfüßig den Berg hinauf. »Mein Kör­per ist wie ein Dieselmotor«, erklärt er, »es kommt auf die Chemie an. Er darf nicht untertourig laufen und nicht zu schnell, sonst geht er kaputt. Finde ich das richtige Tempo, laufe ich, bis ich schwarz werde.«

Stets hat Ottke einen eigenen Bergführer an seiner Seite. Dismas, ein zäher, 28-jähriger Schlaks aus Arusha, der Stadt am Fuß des Berges, war über 50-mal auf dem Gipfel. Immer wieder ermahnt er Ottke, Trinkpausen einzulegen. Doch der winkt ab, weil der Motor gerade so gleichmäßig schnurrt. »Not normal, not normal.« Einen Kerl wie Ottke hat Dismas selten erlebt.

Zweimal holt Ottke die Vorhut von Trägern ein, die vor Ankunft der Gruppe die Zelte aufbaut. Kleine Triumphe seiner Kondition, aber der Respekt vor dem Berg geht ihm darüber nicht verloren. Weil die Höhenkrankheit jeden heimsuchen kann. »Ich bin mir tausendprozentig sicher«, sagt Ottke, »dass ich konditionell in der Lage bin, den Berg hin­aufzukommen. Aber wenn der Hammer kommt, bin auch ich machtlos.« Weil der akute Sauerstoffmangel selbst den stärksten Sportler im Nu übermannen kann: mit peinigendem Kopfschmerz, geschwollenen Augen, Fieber, Gleichgewichtsstörungen.

Start auf 1800 Meter Höhe: Ein Jeep brachte Ottkes Gruppe zum Machame Gate
Start auf 1800 Meter Höhe: Ein Jeep brachte Ottkes Gruppe zum Machame Gate 
Träger Disams immer an der Seite: Ottke im Zeltlager
Träger Disams immer an der Seite:
Ottke im Zeltlager 
Im tropischen Regenwald: Immer wieder versperrten riesige Wurzeln Ottkes Weg
Im tropischen Regenwald: Immer wieder versperrten riesige Wurzeln Ottkes Weg 
Mitten in Afrika: Der Kilimandsharo liegt in Tansania an der Grenze zu Kenia
Mitten in Afrika: Der Kilimandsharo liegt in Tansania an der Grenze zu Kenia

Ottke hat mit anderen Widrigkeiten zu kämpfen, der fortgesetzte Schlafmangel, die kalten Nächte. Er hat unwirsche Momente. Längst ist aus der Wanderung eine Expedition geworden. Fünf Tage ohne Dusche, die Helfer tragen bloß kleine Schüsseln mit gekochtem Wasser vor die Zelte. In jedem Lager entsteht eine windschiefe Toilette. Ein Loch wird in den Boden gegraben, ein wackliger Klappstuhl mit einer Klobrille darüber gestellt, drum herum ein spärlicher Vorhang. Eines Morgens bricht der wacklige Aufbau unter Ottke zusammen.

Das ist vielleicht das Erstaunlichste, wenn man Ottke auf seiner Treckingtour in Afrika beobachtet: Er ist ein Star. Mit seiner Familie bewohnt er ein 300-qm-Haus in Karlsruhe, bucht Pauschalurlaub im Fe­rienklub. Und nun verbringt er eine nicht enden wallende Woche. Zwei­felnd gelegentlich und doch ahne Anpassungsschwierigkeiten. »Ich muss nicht auf dem Goldklo sitzen«, sagt Ottke knapp, »ich sehe mich immer noch als Obernorrnalo.«

Am fünften Tag hat die Gruppe das Barafu Camp erreicht, auf 4600 Meter Höhe. Von hier aus geht es zum Uhuru Peak. Noch gut 1300 Höhenmeter. Der Gipfelsturm beginnt um Mitternacht. Weil die Dunkelheit Vorteile hat: Man sieht die fange Strecke nicht, die vor einem liegt. Sie windet sich durch Geröllfelder, in kleinsten Serpentinen.

Sieben Stunden sind es bis zum Gipfel. Das Wasser in den Trink­flaschen friert ein, zu essen gibt es nichts. »Mein Körper hat geschrien. Und ich konnte ihm nichts geben.« Oben angekommen sitzt Ottke da, einfach nur da.

Bis er die ganze Pracht bemerkt: den roten Sonnenaufgang, das Wolkenmeer unter sich, die mächtigen, weißen Gletscherzungen. »Es ist schöner, als ich es je erwartet hätte. « Er zittert vor Kälte, er ist »pappsatt. So kaputt wie noch nie.«

Kein Vergleich zu einem WM­Kampf. »Ich will nur noch sitzen, dahinvegetieren, zu Kräften kom­men.« Nach 60 Minuten muss er aufstehen, das nächste Zeltlager ist auf 3000 Meter Höhe aufgebaut.

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