Gläubige pilgern zur tief in den Fels geschlagenen Kirche Str.Georges in Lalibela |
Mit ihr zerteilten die Israelis die Flüsse. Mit ihr auf den Schultern umschritten sie Jericho und brachten dessen Mauern zum Einsturz. Sogar töten konnte die Bundeslade, 70 Menschen auf einen Streich, und nachts, so berichtet das Alte Testament, war die vergoldete Kiste umhüllt von feurigem Schein. Doch dann verschwand die Truhe, in der Moses die Tafeln mit den Zehn Geboten aufbewahrt hatte. Und fortan blühten die Legenden.
Eine davon geht so: Vor 3000 Jahren reiste die Königin von Saba, die reichste und stolzeste Frau ihrer Zeit, von Axum nach Jerusalem und sagte zu König Salomon: Ich werde dich nie um einen Gefallen bitten, falls doch, hast du einen Wunsch frei. König Salomon, in seiner Weisheit, ließ das das Essen versalzen, und siehe da, die Königin bat ihn um ein Glas Wasser. Sie hatte verloren, er nahm, so viel er kriegen konnte: ihren Körper, und sie zeugten einen Sohn. Dem hat, so die Legende, Salomon später die Bundeslade gegeben, damit er sie vor den Feinden Jerusalems in Sicherheit bringe. So kam die Truhe nach Äthiopien, nach Axum, einst Hauptstadt eines riesigen Reiches.
An einem milden, sonnigen Morgen kurz nach der Regenzeit fährt unsere kleine Reisegruppe nach Axum hinein. Prachtvoll hat man sich die Stadt vorgestellt, so märchenhaft und glanzvoll wie ihre Legende. Die Wirklichkeit: eine archaische Landschaft, in der noch vieles so ist wie vor 3000 Jahren. Lehmhütten und staubige Straßen. Felder, auf denen Ochsen den Pflug ziehen, Frauen, die im Fluss Wäsche scheuern, Kinder, die Tonkrüge voll Wasser nach Hause tragen. Statt Autos sind Esel unterwegs, und Fußgänger, ein endloser Strom. Viele gehen barfuss, eingehüllt in die Dschemma, das weiße Baumwolltuch. Biblische Szenen.
Doch dann ist da der Mann mit der Kalaschnikow. Recht beiläufig steht er vor einem hohen, roten Zaun, dessen Spitzen nach außen gebogen sind, und bewacht den dahinter liegenden Neubau. Graue Fassade, grüne Fenster, eine Kuppel, von der die Farbe abblättert - die Kapelle der Heiligen Maria Von Zion wirkt auf geradezu dramatische Weise unscheinbar. Und doch ist dies der Hort der Bundeslade, das Zentrum der uralten äthiopisch-orthodoxen Kirche, der Fokus heftigster religiöser Gefühle. An diesem Tag ist der Ort still und leer, aber manchmal sieht man einzelne Frauen, die sich zu Boden werfen und den heiligen Grund küssen. Welche Szenen spielen sich hier wohl an hohen Kirchentagen ab?
Niemand hat die Bundeslade je gesehen. Außer ihrem Wächter, ein Mönch mit tadellosem Lebenswandel, der zusammen mit der gefährlichen Kiste hinter dem roten Gitter eingesperrt ist, bis ans Ende seiner Tage. Doch er darf keine Auskunft geben. Einige Male ist es Besuchern gelungen, sich dem Mann zu nähern. Ob ihn sein Amt, eines der ehrenvollsten in Äthiopien, mit Glück erfülle, haben sie ihn gefragt. „Nein“, soll der alte Mönch geantwortet haben, mit scheuem Lächeln, „es ist eine schwere Bürde.“ Auch wir warten eine Zeitlang vor dem Zaun, ob wir den Wächter sehen. Doch er tritt nicht heraus.
Es ist der zweite Tag unserer Reise durch den Norden Äthiopiens. Wir folgen der klassischen „historischen Route", voller Legenden, voller Obelisken und Paläste, Klöster und Felsenkirchen. Monumente, die zu den bedeutendsten Afrikas gehören. Überreste einer frühen Hochkultur, des Reiches von Axum, das einst so mächtig war wie Persien, China oder Rom; einmalige Zeugnisse aus über 1600 Jahren christlicher Geschichte. Eine Reise durch eine Welt, die historisch ist, auch jenseits der Denkmäler. Denn Krieg, Bürgerkrieg und die kommunistische Diktatur haben jede Entwicklung verhindert und die Macht jahrtausendealter Tradition weiter genährt. Und mit ihr die Armut. So kommt es, dass man während dieser Reise fortwährend zwischen Mittelalter und Moderne hin und her springt. Bequem fliegt man die wichtigsten Orte der historischen Route an, gelangt von Axum nach Lalibela, von Gonder nach Baha Dar - um jeweils, wenige Stunden nach der Ankunft, in der Welt der Ziegenhirten und Lehmhütten zu landen.
Eine Welt, in der Frauen beschnitten werden und ein Dutzend Kinder bekommen, wo sich rote Tafelberge bis zum Horizont entlangziehen, wo sich berückend schöne, tiefgrüne Landschaften unter dem milden Himmel eines Hochplateaus dehnen, auf über 2000 Metern Höhe. Wo eine religiöse Inbrunst die alten Stätten belebt, dass es einem den Atem verschlägt.
Der dumpfe Schlag einer Trommel. Diakone verteilen das Abendmahl, ein großes Stück Brot, eine Blechtasse voll Gegorenem: ein ordentliches Frühstück. In den Schatten, in den Flecken plötzlichen Sonnenlichts stehen Priester, umhängt mit fantastischen Umhängen. Wie Könige, wie Karnevalsprinzen, Gewänder in Purpur, Dunkelblau und Grün, mit leuchtenden Goldstickereien, behütet von Sonnenschirmen, auch die komponiert aus Gold, Licht und Brokat.
Wir gehen hindurch und möchten bleiben. Möchten uns in ein weißes Tuch hüllen und unter die Gläubigen mischen, uns auf den kalten Steinboden setzen und die Zeit vergessen. Die Archaik für immer in uns aufsaugen. Aber wir müssen weiter. Das Flugzeug wartet.