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Badische Zeitung, Samstag, 6. April 2002
Text & Fotos von Johannes Bachmann

Dünen am Berg ohne Namen

Namibia – Land zwischen Wüste und Busch. Auf Safari durch den Etosha-Nationalpark im Südwesten Afrikas

Spurensuche in Rot: Dünenlandschaft nahe der Sossuvlei Mountain Lodge.
Spurensuche in Rot: Dünenlandschaft nahe der Sossuvlei Mountain Lodge.

Paulus salzt nach. Unter sternklarem Himmel. Tief im namibischen Busch, umringt von wogendem Grün, mitten im Irgendwo. Bis zur nächsten Ampel ist es eine Tagesreise, das Büro scheint weiter weg als der Mond. Im menschenverlassenen Hier, wo ein Stück Fladenbrot und ein Schluck Wasser Luxus sind, hantiert der Koch vom Stamm der Ovambo am offenen Feuer mit Tiegeln und Pfannen,
schnetzelt Antilopenfleisch und Zebra, putzt Garnelen und Salat. Ein Dinner für sieben Auserwählte, die unter einem hölzernen Baldachin im Schein der auf silberne Leuchter tropfenden Kerzen erwartungsfroh an der Tischdecke nesteln.


Gefangen von einem Dunkel, das tausend Augen hat. Ein trockener Windhauch reibt wie Sandelholz über die Wangen. Zum Gläserklingen große Nachtmusik. Rascheln und Zischeln im Nacken,  fledermausflattern über den Köpfen. Und schreit da nicht ein Kind? „Hyäne“, sagt Bruce, der uns ins Nichts geführt hat und die zwei Damen der Gesellschaft rücken seinem breiten Schatten noch ein bisschen näher. Ein Vierteljahrhundert war der Mann aus Lesotho als britischer Offizier an den Brennpunkten der Welt. Heute ist er als Leiter der Anderson-Safaris tagsüber Spurensucher und Touristenbändiger, abends Charmeur, Märchenerzähler und Beschützer, gesegnet mit Humor, der rührt und schüttelt. Der Verdauungsspaziergang führt ins Dickicht. Fußpirsch im Gänsemarsch.
Im Lichtkegel der Taschenlampe Dellen im Sand, die bekannt anmuten. „Katze“ denken wir. „Leopard“, präzisiert Bruce, geleitet die matten Zivilisten zu ihren Zelten und wünscht eine gute Nacht. „Only crying“, nur schreien sollen wir, wenn uns etwas ängstige. Aus einem Zelt, das so gar nichts mit ordinärem Camping zu tun hat. Ein fingerdicker Cotto-Teppich schmeichelt den Fußsohlen, Latexmatratzen im Kingsize-Format, bezogen mit khakifarbenem Leinen, schonen den müden Rücken. So komfortabel ruhen wir zu Hause nicht.

Ein zwei Mann hohes Haus aus Stoff mit integriertem Badezimmer. Paulus und Ivan haben ein Porzellanklosett mitten durch den Busch geschleppt, ein prall gefüllter Wassersack unterm First speist die Dusche.

Zwei Millimeter dünnes Tuch trennt Luxus und Wildnis. Eine riesige Tarnkappe, für Tiere undurchdringlich, weil als Beuteschema unbekannt und damit nicht existent. Behauptet zumindest Bruce. Langgestreckt lauschen wir dem Wind, der in den Abspannschnüren zirpt, dämmern dahin.

Ein alarmierendes Geräusch reißt uns aus dem Schlaf. „Chhhh“. Von wegen Tarnkappe! Leopard!!! Die Hand tastet nach der Waffe auf dem Nachttisch, Spiegelreflex, Kaliber 24 Millimeter. Wir zielen nach rechts und treffen Schlafes Bruder. „Chhhh“ macht unser österreichischer Kollege und wälzt
sich auf den Bauch. Morgens um sechs. Pirschfahrt im achtsitzigen Geländewagen.

Dagegen Gedränge im Grün: Exot ist im Etosha-Nationalpark der Mensch.
Dagegen Gedränge im Grün: Exot ist im Etosha-Nationalpark der Mensch.

 Die Sonne zwängt sich unter bauschigen Wolken auf weites Land und Namibias größte Attraktion:

den Etosha-Nationalpark. Groß wie die Schweiz, flach wie die Lüneburger Heide. Ein Paradies für 3000 Elefanten, 30 000 Springböcke, mehr als 2000 Giraffen, 500 Löwen und 300 Nashörner. Exot ist hier der Mensch. Bruce kuppelt ein zur Schleichfahrt. Zur Schaukelpartie auf Schotter gibt es „Biltong“, Trockenfleisch, als zweites Frühstück. Wie U-Boot-Kapitäne lugen wir aus drei Dachluken, die Kameras im Anschlag. Halblinks im Dunst balancieren gefleckte Schornsteine blasiertes Grinsen in den Morgen. Giraffen, die Bananen des Tierreichs. Unverkennbar und einzigartig. In Zeitlupe schwebende Grazien über Grün. „Süß“, haucht Susanne.

Klick. Zwei Dutzend Zebras von rechts, galoppierendes, wogendes Streifenmuster. Klick, klick. Flamingos staken durch ein Wasserloch, Hyänen warten auf das erste Aas des Tages. Und plötzlich dröhnende Stille. Bruce deutet auf zwei sandfarbene Rücken. Löwenmännchen. Noch mit schütterer
Mähne. Kronprinzen, nicht Könige. Halbstarke ohne Benehmen. Nummer eins hebt das Hinterteil und begrüßt uns mit einem Bauchwind. Wir sind nicht sein Geschmack. Wer frische Antilope haben kann, verzichtet leicht auf menschliches Fastfood aus rollenden Büchsen.

Rund 2000 Tiere später nimmt eine graue Arroganz nach ausgiebigem Schlammbad das Heck des Landcruisers ins Visier. Tonnenschwer. Ein rüsselhebendes Erdbeben, dem ein Stoßzahn fehlt. Stinkend wie eine Horde schweißnasser Fußballer. Zwei Wagenlängen entfernt nimmt der Koloss Anlauf. Aus dem Ohrenwackeln des Elefantenbullen wird Ohrenflattern. Der wird doch nicht fliegen . . . „Bruce!!!“ Ein Schrei aus sieben Kehlen, der Gasfuß tritt ins Bodenblech. Klick? Glatt vergessen.

Der wird doch nicht fliegen . . . : Ein mächtiger Elefantenbulle stellt die Ohren auf.
Der wird doch nicht fliegen . . . : Ein mächtiger Elefantenbulle stellt die Ohren auf.

Bruce grinst: „Don’t panic“.

Am Horizont dann ein weißer Quader, zinnenbewehrt: Fort Namutoni. Vor einem Jahrhundert anmaßende Trutzburg kolonialer deutscher Allmachtsphantasien, heute Hotel. Sieben Reiter des Kaisers trotzten hier, am Rande der Etosha-Pfanne, im Januar 1904 dem Ansturm von 500 Ovambo-Kriegern. Ein vermeintliches Heldenstück der deutschen „Schutztruppe“, um das herum in der Minenstadt Tsumeb ein Museum gebaut wurde. An der Wand hängt, neben vergilbten Soldatenporträts, penibel gebügelt, die deutsche Reichskriegsflagge. Kein Platz für die Wahrheit. 65 000 Kinder, Frauen und Männer vom Volk der Herero haben deutsche Soldaten damals erschossen,
erschlagen, zu Tode geschleift. Ein ungesühnter Völkermord. Heute, 98 Jahre nach dem Massaker, ist in den USA eine Klage des Herero-Häuptlings Kuaimo Riruako auf Wiedergutmachung gegen die
Bundesrepublik Deutschland anhängig.

Abschied von Elefanten und Zebras, der Diesel schnurrt westwärts. Die Straße zielt schnurgerade in die Savanne, verliert sich zwischen rostbraunen Termitenhügeln, die als Leitpfosten für einen Verkehr dienen, den es nicht gibt. Eine Stunde ist es her, dass uns drei Eselkarren begegnet sind. Der Puls geht ruhiger, Stress ist ein Fremdwort. Entspannte Landschaft. 1- ,9 Millionen Einwohner verlieren sich in Namibia, das seit der Unabhängigkeit vor zwölf Jahren in der dritten Amtszeit von Präsident Sam Nujoma geführt wird, zwischen Angola, Südafrika, Botswana und Atlantik auf einer
Fläche zweieinhalb mal so groß wie die Bundesrepublik.

In der flirrenden Hitze scheinen drei Zuckerhüte zu schmelzen, die sich unter Gewitterwolken aneinander schmiegen: die Spitzkoppe, Namibias Matterhorn. Aus Grün wird Braun, dann Staub.
Nebel mit Salzgeschmack verschleiert die Sonne und den Blick auf Swakopmund, Seebad der Windhoeker und einer von drei natürlichen Häfen an der 1500 Kilometer langen, wie mit dem Messer gezogenen Küste des Südatlantik. Eine Stadt mit permanenter Kehrwoche.

 

Von drei Seiten bedrängt durch die älteste Wüste der Erde, und eine Salzpfanne, in der täglich 18 Millionen Liter Seewasser verdunsten, bestückt mit vier Ampeln, an denen sich in der Rushhour
zwei Autos stauen, ewig auf Frühling temperiert vom kühlen Benguelastrom, der Hummer und Austern in die Küchen spült. Behäbig, beschaulich, kolonialselig rückwärtsgewandt.
Zwei Autos sind ein Stau. Auf den endlosen Pisten durch Savanne und Wüste ist Fahrstress ein Fremdwort.
Zwei Autos sind ein Stau. Auf den endlosen Pisten durch Savanne und Wüste ist Fahrstress ein Fremdwort.

Postkartenidylle mit Leuchtturm. In der Metzgerei „Zum Kaiser“ gibt’s Landjäger, die Kneipen heißen „Kleiner Unterschied“ und „Zur Post“. Im „Grüner Kranz“ wird dem Klischee getrotzt. Statt Humbtata wummert Techno-Sound aus den Boxen, der auch die hartnäckigsten Tänzer in die Flucht schlägt.Wüste Namib. Graubraunockerfarbene Verlorenheit. Sand, Steine, Schattierungen ohne Konturen. Fahrt durch einen Ozean aus Staub. Das Auge droht irre zu werden in dieser Leere und übertölpelt den Geist. Am Horizont schwimmen Bergkuppen auf einem Boden-See, den es nicht gibt. Luftspiegelungen sind keine Erfindung der Sahara.
Nach Stunden des Schweifens findet der Blick Halt an schroffem Gestein, aufgetürmt am Kuiseb-Pass. Haufenwolken schieben die Sonne vom Himmel und platzen in violettem Zorn. Vor uns stürzt in fünf Minuten ein Meer auf die Staubpiste und ertränkt Bruce’s trockenen Humor. Wüste als Wasserlandschaft. Aus „riviers“, Trockenflüssen, die den Weg kreuzen, werden reißende Bäche.
Jetzt bräuchten wir ein Boot oder unseren schnorchelbewehrten Geländewagen, den wir vor Stunden gegen ein Gefährt mit Stern getauscht haben. Tapfer steuert Matthew den Wagen ins knietiefe Nass. Zwei, drei Riviere durchwatet der Sprinter mit röhrendem Motor, dann strandet er im gurgelnden Strom auf einem Felsen. Plopp, pfffft, doppelter Plattfuß. „Oh Gott“, fleht Birgit, doch der hat in dieser grandiosen Landschaft wahrlich schon genug getan.

Handy? Tot. Abgeschnitten von der Welt bleibt nur Selbsthilfe. Wagenheber ansetzen in brauner Flut. Schwitzen, fluchen. Zweifeln. Rettung naht nach zwei Stunden. Selten hat uns der Anblick eines Lastwagens so gefreut. Eine Stahltrosse zieht uns zurück aufs Trockene. Heute kann uns der Himmel nicht mehr überraschen. Kann er doch. Weil es am Tellerrand der Wüste einen unerwarteten Fixpunkt gibt: die Sossuvlei Mountain Lodge.

 

Karte Namibia
Karte Namibia

Eine Oase der Genüsse im Namib Naukluft Park, an einen sanften Felsrücken gelehnt. Kein Ort für Menschenmassen. Ein Hotel mit zehn Suiten für zwanzig Gäste. Fünf-Gang-Menü aus einer Küche mit Sternekoch-Qualität. Wein aus der Zeit unserer Jugend. Oryx-Antilopen zu unseren Füßen.

Das letzte Licht des Tages streift namenlose Berge, taucht die turmhohen Sanddünen am Horizont in flammendes Rot.

Purpur zieht auf und weicht der Nacht. Über uns strahlt das Kreuz des Südens. Die Seele schwingt. Wenn jetzt der Himmel einstürzte, es wäre uns mittlerweile einerlei.

 

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