Merkzettel ist leer
 
Welt am Sonntag, Sonntag, 22. Mai 2011
Text von Eckhard Fuhr

Der Zipfel des Herrn Caprivi

In dem Streifen Land, der Namibia mit dem Sambesi verbindet, sind Vögel, Elefanten und Krokodile die Attraktion - und die Abwesenheit alles Modernen


Heute gilt es einen Zipfel Afrika vorzustellen, der fast 400 Kilometer lang ist und den Namen eines deutschen Reichskanzlers bewahrt, der heute nur Wenigen noch geläufig ist. Leo von Caprivi, der Nachfolger Bismarcks, handelte mit Großbritannien den Helgoland-Sansibar-Vertrag aus, der am 1. Juli 1890 unterschrieben wurde. Es war ein Tauschgeschäft: England erhielt aus dem deutschen Kolonialbesitz die ostafrikanische Insel Sansibar. Dafür trat es die Nordseeinsel Helgoland und in Afrika einen Landstreifen zwischen den Flüssen Okavango und Sambesi an Deutschland ab. Dieses Gebiet wurde der Kolonie Deutsch-Südwestafrika angegliedert und hieß von nun an Caprivi-Zipfel.

Wie das mit Zipfeln so geht, machte er nicht nur Freude, sondern auch Ärger. Deutschland hatte sich durch den Zugang zum Sambesi eine Verbindung zu seinen ostafrikanischen Kolonien erhofft. Aber es zeigte sich schnell, dass dieses Flusssystem nicht schiffbar war. Und für Siedler war die sumpfige Wildnis uninteressant. Von deutscher Kolonialmacht war in dem nordöstlichen Anhängsel von Deutsch-Südwest wenig zu spüren. Erst 1908, also nur sieben Jahre bevor das gesamte deutsche Schutzgebiet im Ersten Weltkrieg unter südafrikanische Verwaltung kam, errichtete man einen dauerhaften Stützpunkt in Schuckmannsburg. Während überall sonst in Namibia die Spuren deutscher Kolonialvergangenheit zum Bild gehören, wirkt hier oben im Caprivi der deutsche Ortsname einigermaßen exotisch.

Caprivi, das ist tiefstes, tropisches Afrika. Geprägt wird das Gebiet von drei großen Strömen, dem Okavango, dem Kwando und dem Sambesi, die in Zeiten hoher Wasserstände über ihre Überschwemmungszonen alle miteinander verbunden sind. Wo viel Wasser ist, ist auch viel Wild. Die gesamte westliche Hälfte des Zipfels ist zum Nationalpark erklärt (Bwabwata), im östlichen Caprivi gibt es zwei weitere Parks (Mudumu und Mamili). Seitens der Natur liegen die besten Voraussetzungen für einen blühenden Caprivi-Tourismus vor, zumal von hier aus auch spektakuläre Ziele in den Nachbarstaaten wie die Victoriafälle in Sambia und das Okavango-Delta in Botswana zu erreichen sind.

Aber es beginnt erst zaghaft zu blühen, weil im Caprivi bis vor wenigen Jahren politische und militärische Unruhe herrschte. Südafrika nutzte das Gebiet im Krieg gegen die namibische Unabhängigkeitsbewegung Swapo als Ausgangsbasis für militärische Operationen. Die heutige Bezirkshauptstadt Katima Mulilo erblühte in den 70er- und 80er-Jahren wirtschaftlich als Garnison. Nach der Unabhängigkeit 1990 und dem Abzug der Südafrikaner ging es steil bergab, was einer der Gründe dafür ist, dass die Bevölkerung Caprivis es an namibischem Nationalgefühl durchaus fehlen lässt, zumal die hier lebenden Stämme mit den Hauptvölkern Namibias, den Ovambos, den Hereros, den San, kulturell und sprachlich nicht verwandt sind. Ende der 90er-Jahre kämpfte gar eine Unabhängigkeitsbewegung - mit Unterstützung Botswanas und Sambias - bewaffnet für einen unabhängigen Staat Caprivi. Von Reisen in das Gebiet wurde dringend abgeraten.

Man muss sich diesen historisch-politischen Hintergrund vor Augen halten, um zu ermessen, was sich in den wenigen Jahren seither geändert hat. 2001 wurde der Trans-Caprivi-Highway fertiggestellt, eine ganzjährig befahrbare Teerstraße, die mitten durch den Bwabwata-Park führt. Wer will, kann sich also jetzt mit dem Auto von Windhuk aus über Grootfontein und Rundu auf den 1400 Kilometer langen Weg in den Caprivi-Zipfel machen.

Wir flogen mit einer Cessna und erreichten nach drei Stunden heftigen Gerüttels die "Namushasha Country Lodge" am Kwando, deren Landepiste allerdings seit Jahren unter Wasser steht, weswegen wir die letzten Kilometer mit dem Auto zurücklegen mussten. Es erwartet die Gäste gediegener Komfort im tiefsten Busch. Die Pavillons der Lodge liegen malerisch unter Bäumen und bieten freien Blick auf die Schilfwildnis des Kwando. Zuweilen kann man Flusspferde direkt vor der Haustür beobachten. Nachts hört man ihr knarrendes Gebrüll auf jeden Fall. Und morgens sieht man an den Spuren, dass sie gern mal durch die gepflegten Gartenanlagen spazieren, wenn die Gäste unter ihren Moskitonetzen schlafen.

Nach staubigen Camp-Tagen im Buschmann-Land kam uns die Wasserwildnis im Caprivi-Zipfel paradiesisch vor. Ornithologen finden hier mehr als 300 nachgewiesene Vogelarten. Angler können es auf Breitmaulbarsch oder Tigerfisch versuchen, aber tunlichst nur mit einem Führer vom Boot aus, denn von individuellen Pirschgängen am Flussufer ist wegen der Krokodile abzuraten. Den räuberischen Reptilien galt auch eine Nachtfahrt auf dem Kwando. Mit Scheinwerfern sollten sie gezählt werden, was aber vielleicht nur ein Vorwand war, das Boot reichlich mit kühlem Bier und lauwarmem Jägermeister zu bestücken und eine Gruppe amerikanischer und südafrikanischer Zoologiestudentinnen zu dieser Mondscheintour einzuladen. Die jungen Damen hatten seit Tagen nichts anderes getan als Elefantenkot zu sammeln und brauchten Abwechslung. Man trieb auf dem Fluss, es war Vollmond, um einen herum nur die Geräusche der Wildnis. Ab und zu zischte ein Bierverschluss. Man hätte ewig so weiterschaukeln können.

Dann war da plötzlich ein Elefant. Er nahm gerade sein nächtliches Bad. Unser Boot trieb direkt auf ihn zu, was dem Elefanten nicht behagte. Unser Bootsführer gab Vollgas, der Bug hob sich aus dem Wasser. In einer scharfen Kurve kamen wir gerade noch und im Wortsinn haarscharf an dem Dickhäuter vorbei. Als sich die Aufregung etwas gelegt hatte, stimmten wir ein Lied an: "Kein schöner Land in dieser Zeit". Es ist schon erstaunlich, auf welche kulturellen Ressourcen deutsche Reisende zurückgreifen können, wenn sie fern der Heimat Elefanten-Abenteuer bestehen müssen. Auch die Studentinnen wunderten sich. Krokodile haben wir während der gesamten Nachtfahrt keine gesehen.

Am der Lodge gegenüberliegenden Kwando-Ufer beginnt der Bwabwata-Nationalpark. 2007 wurde er durch den Zusammenschluss des Caprivi-Wildschutzgebietes und des Mahango-Parks gebildet. Man muss mit dem Boot übersetzen. Drüben wartet ein "Monster" genanntes Gefährt für den Game Drive. Man braucht nicht lange nach Elefanten zu suchen. Sie sind die Herren dieses Gebietes und schließen sich vor allem in den Feuchtgebieten am Fluss zu großen Herden zusammen. Auch die seltene Rappenantilope ist hier zu beobachten. Natürlich gibt es jede Menge Kudus und Springböcke und, dem Wasser geschuldet, auch Moorantilopen und Wasserböcke, die gern gemischte Rudel bilden.

Der Nationalpark ist jung, in weiten Teilen immer noch schwer zugänglich und deshalb kaum zu kontrollieren. Wilderei ist hier im Vierländereck Namibia, Angola, Sambia und Botswana ein Geschäft, dessen Hintermänner in China sitzen. Allein in der Gegend der "Namushasha Lodge" sind ihr in diesem Jahr elf Elefanten zum Opfer gefallen. Die Wilderer nutzen immer häufiger Narkosegewehre, um sich durch Schüsse nicht zu verraten. Die namibische Regierung ist im Kampf gegen das von Chinesen gesteuerte illegale Elfenbeingeschäft leider gehemmt: China hat den Befreiungskampf der Swapo jahrzehntelang unterstützt und ist - wie übrigens auch Nordkorea - heute in Namibia politisch und wirtschaftlich überaus präsent. Und die in Windhuk regierenden Swapo-Leute wollen den einstigen politischen Sponsor nicht vergrämen.

Effektiveren Schutz der Wildtiere und einen Aufschwung des Tourismus verspricht man sich in der Region durch grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Schon heute lässt man den Grenzzaun zwischen Namibia und Botswana verrotten. Irgendwann einmal sollen die benachbarten Schutzgebiete in Namibia, Angola, Botswana, Simbabwe und Sambia einen grenzüberschreitenden Park bilden, der dann 280 000 Quadratkilometer groß wäre und damit rund 80 Prozent der Fläche Deutschlands umfassen würde. Er böte, nach jüngsten Zählungen, Lebensraum für mehr als 100 000 Elefanten, was fast einem Drittel des heutigen afrikanischen Gesamtbestandes entspricht.

Doch das ist Zukunftsmusik, in der die Politik, wie das Beispiel des von Robert Mugabe zugrunde gerichteten Simbabwe zeigt, gewaltige Dissonanzen erzeugen kann. Heute jedenfalls ist der Caprivi noch touristisches Entwicklungsgebiet. Seine Abgeschiedenheit macht auch seinen Reiz aus. Wer dorthin reist, mag sich immer noch ein bisschen als Pionier fühlen.
 

 

Einleitung Afrikareisen Katalog Reisen Afrika Urlaub Sansibar Anbieter Seychellen Reise Madagaskar Urlaub Mauritius Anbieter La Reunion
Afrika Reisen Exklusiv
Afrika Reisen Exklusiv Afrika Reisen Exklusiv
Afrika Reisen Exklusiv
Afrika Reisen Wüste Afrika Reisen Boot Afrika Reisen Victoria Falls Afrika Reisen Safari Afrika Reisen Berge