Süddeutsche Zeitung, Dienstag, 9. März 2004
von Bettina Erhardt

Dicke Freunde in dünner Luft

Es gibt wenig Chancen, den Gipfel zu erreichen, aber wer es trotzdem versucht, erlebt seine Grenzen und eine wunderbare Aussicht dazu

 

Mühsam dem Licht entgegen: Dem Gipfel des Kilimanjaro nähert man sich am besten nachts, weil man die weite Strecke nicht sieht, die es noch zurückzulegen gilt.
Mühsam dem Licht entgegen: Dem Gipfel des Kilimanjaro nähert man sich am besten nachts, weil man die weite Strecke nicht sieht, die es noch zurückzulegen gilt.

Kein Spaziergang: Bei Nacht auf den Kilimandscharo

Um halb zwölf nachts klingelt im Nachbarzelt der Wecker. Alle schälen sich aus den Schlafsäcken. Lausig kalt ist es - ich habe mit Handschuhen und einer Mütze auf dem Kopf geschlafen. Erstaunlich gut übrigens, trotz der Höhe von 4600 Metern. Dismass zieht von außen das Zelt auf, steckt den Kopf hinein, singt mit hoher lachender Stimme „Pitina, you want hot water?" Eine Stunde später brechen wir auf, vermummt bis auf die Augenschlitze. Ich habe alles übereinander gezogen, was ich mithabe, vier paar Hosen (zwei Unter-, zwei Über-), T-Shirts, Pullis, eine Weste, zwei Jacken. Die festeren Stiefel zahlen sich aus und zwei Paar Socken, so wie Honest, unser Bergführer, es uns geraten hat. „Wieso gehen wir eigentlich nachts?" fragen wir schlaftrunken. Honest - er war schon 175 Mal hier oben auf dem Kilimandscharo - hat zwei Antworten parat: Erstens wollen wir bei Sonnenaufgang dort oben sein, auf dem höchsten Punkt Afrikas, denn in der Früh hat man die beste Chance auf klare Sicht, und zweitens, fügt er hinzu, ist es nachts leichter zu gehen - man sieht nicht so genau, wie weit es noch ist. 1300 Höhenmeter stehen uns bevor! Die letzte und steilste Etappe unseres Aufstiegs: der Gipfelsturm.


Fünf Tage zuvor sind wir aufgebrochen vom Machame-Gate aus, einem der Eingänge zum Kilimandscharo-Nationalpark, 1800 Meter hoch gelegen. Wir sind eine kleine Truppe von sieben Leuten, dazu ein Boxweltmeister, dem die Idee, hier mit zu wandern, Spaß machte. Für uns paar Hansel sind nicht weniger als 35 afrikanische Träger, Köche und Bergführer auf den Beinen. Wir gehen die Machame-Route, die landschaftlich besonders schön sein soll, wilder als die anderen Routen, zum Glück auch weniger stark begangen. Eine dreiviertel Million Menschen waren seit der Eröffnung des Nationalparks im Jahr 1977 schon hier oben, die meisten von ihnen auf dem Marangutrail, der leichteren so genannten „Coca-Cola"-Route, die von Lodge zu Lodge Eührt. Auf unserem Trek gibt es keine Lod ges, wir schlafen in Zelten: Verschärfte Bedingungen also, die Machame-Route wird auch die Whiskey-Tour genannt und das, obwohl Alkohol am Berg streng verboten ist: Alkohol verschlimmert die eigentliche Gefahr einer „Kili"-Besteigung, die Höhenkrankheit.

Zugegeben, bergsteigerisch ist der Kili ein Spaziergang, das einzige Problem ist die Höhe. Genau das hatte uns Honest noch unten in der hübschen Mount-Meru-Game-Lodge in Arusha erzählt, dem Ausgangspunkt unseres Abenteuers. Von Nairobi aus waren wir mit dem Jeep fünf Stunden lang nach Süden, nach Tansania, durch das Gebiet der Maasai gefahren, eine Hochebene auf etwa 1200 Metern Höhe, wo es nie zu heiß wird. Wie gebogene Ausrufezeichen standen die eleganten Maasai in ihre roten Schals gehüllt, auf den Hirtenstab gestützt am Straßenrand. Arusha, die 280 000 Einwohner-Stadt mit ihren Märkten, Hütten und Hotelpalästen ist der Ausgangspunkt der meisten Kilimandscharo-Trecks. Außerdem ist sie das „Center of Africa", wie ein Monument verkündet - offenbar liegt die Stadt an den Hängen des Mount Meru genau in der Mitte zwischen Alexandria und Kapstadt. Wir nächtigten in der Lodge eines ehemaligen Großwildjägers, der, als sich die wilden Tiere vor den Menschen immer mehr zurückzogen, vor Jahrzehnten schon auf diese andere Art der Jagd umgesattelt hatte, den Tourismus. In seinem Park gibt es Zebras und Strauße, auf die Dächer der hübschen Bungalows springen nachts die Affen.

Unsere Gruppe - alles Männer und eine Frau. Der stärkste ist naturgemäß Sven, Sven Ottke, doppelter Boxweltmeister im Supermittelgewicht und begeisterter Golfspieler. Am Machame-Gate zwei Tage später wurden dann die Lasten unter den Trägern verteilt - jeder von ihnen schleppt 25 Kilo den Berg hinauf, Zelte, Küchensachen, Lebensmittel, Brennstoff (es darf kein Holz geschlagen werden im Nationalpark), sogar Tisch und Stühle für uns (die anderen Bergwanderer, denen wir begegnen, werden später die Nase rümpfen über solch unzünftigen Luxus), und ein mobiles Klo, eine Art Klobrillenklappstuhl, unter dem ein Loch gegraben wird, darum ein Paravent, der auf Kniehöhe endet. Mit Schwung schulterten die Träger ihre Lasten, ziehen leichtfüßig, federnden Schritts an uns vorüber. Sven hat der Ehrgeiz gepackt: „Ich trage meinen Rucksack selbst", verkündet er, unter dem Applaus der Träger. Das Teil wird gewogen, 15 Kilo. So ging es los.

Gipfelsturm: „You have a good chance to reach the summit" - Honest verbreitet gute Laune. Die Nacht ist sternenklar, der Halbmond steht am Himmel. Unsere Stirnlampen leuchten Kegel aus, wir gehen im Gänsemarsch, ich hinter Honest, der Kameramann Fuzzy Garhammer (Erfinder des Trickski und Weltmeister in eben dieser Disziplin) geht hinter mir. Sein Sohn Moritz ist auch dabei. Fuzzy ist der ideale Mann für solche Unternehmungen, im Nebenberuf ist er Bergführer. Eigentlich hätten beide auch später mit der „schnellen" Truppe aufbrechen können, die zwei Stunden nach uns losmarschiert: Sven natürlich, Ariel und Paul. Kurz vor Sonnenaufgang morgens um sieben sollen wir knapp unter dem Gipfel wieder zusammentreffen. Auf diese Weise will Honest das unterschiedliche Niveau unserer Expeditionsteilnehmer ausgleichen. Die anderen drei schlafen also noch.

Die ersten beiden Tage waren wir jeweils etwas mehr als 1000 Höhenmeter gestiegen. Am Anfang durch einen zauberischen Regenwald, vorbei an riesigen, tropfnassen Farnen. Von den bemoosten Bäumen hingen Flechten, ein Urwald, in dem vereinzelt Orchideen wachsen, Vögel leise zirpen. Ab und zu roch es nach Tier, auch wenn keines zu sehen war: Das sind Meerkatzen - eine Halbaffenart, sagt Honest. Leoparden soll es in diesen Wäldern gegeben haben, einen fand man erfroren weit oben in der Gipfelregion. Sogar Löwen verirrten sich nach oben. Auch sie müssen den Wald durchquert haben, doch das ist lange her. Am Nachmittag ging ein Regenschauer nieder, da kam uns eine ganze Schulklasse entgegen, vierzig lachende Kinder in nassen Schuluniformen sprangen über die dicken Wurzeln, die den Weg queren, gefolgt von zwei freundlichen Lehrern. Sie kamen vom Machame-Camp, unserem ersten Zielort, waren in der Früh aufgebrochen und stiegen nun wieder ab. „Die Kinder sollen ihre Heimat kennen lernen", sagten die Lehrer, „im nächsten Jahr gehen wir ein Stück weiter nach oben und später dann auch bis zum Gipfel." Die Kinder waren begeistert.

Gipfelsturm: Nach einer halben Stunde kochen alle in ihren Klamotten. Der Weg ist steil, ich habe meinen Atemrhythmus noch nicht gefunden. Wir machen eine Pause, stopfen eine Schicht Kleidung in den Rucksack und trinken Wasser. „Ihr müsst trinken, das ist das Wichtigste", rät Honest. Und es hilft. Nach einer kurzen Rast geht es weiter über hohe Findlinge, es wird noch steiler in engen Serpentinen die Geröllhalden des Kilimandscharo hinauf. Raureif glitzert auf den Felsen, in der Stille ist nur das Knirschen der Stiefel zu hören und keuchender Atem.

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